Fabrikantenvilla in Esslingen
Fabrikantenvilla
Vor ein paar Wochen habe ich bereits in einem Beitrag ein Plädoyer für die Esslinger Villen und ihre wunderbare, sowie einzigartige Architektur gehalten. Beginnend mit der Villa Pebra konnte ich einige von euch vielleicht schon überzeugen, dass es sich lohnt, einen Blick über die historische Altstadt hinaus zu werfen und sich auf die Suche nach den vielen, häufig auch versteckten, Villen zu machen.
Hier also ein weiteres Beispiel für die mannigfaltige und individuelle Bauweise von Villen. Errichtet wurde das gezeigte Gebäude im Neorenaissancestil 1896 vom Regierungsbaumeister Gustav Eisele für Karl Kuge. Dabei wurden Unter- und Erdgeschoss massiv gebaut und verputzt, da sich die Villa in Hanglage befindet. Die oberen Geschosse wurden Zierfachwerk ausgebaut. Besonders ist auch der Standerker, der den „altdeutschen“ Stil des Bauwerks betont. Seine Ecken sind mit Säulen und Pilastern, seine Brüstung mit Familienwappen geschmückt.
Die Glasfenster im Erdgeschoss des Standerkers sind original erhalten. Nach oben wird der Standerker durch einen Altan mit einem überkragenden Krüppelwalmdach über einem Fachwerkbogen abgeschlossen. An der Rückseite der Villa, deren verschachtelter Grundriss auf malerische Wirkungen ausgelegt ist, befinden sich zwei turmartige Gebäudeteile mit spitzen Zeltdächern und Wetterfahnen.
Wie viele Architekten, gehört auch Gustav Eisele zu den vergessenen Baumeistern. Glücklicherweise ist diese Gebäude ein Zeitzeugnis, das hoffentlich noch lange erhalten werden kann.
Was ist eigentlich eine Villa?
Das Wort Villa kommt ursprünglich aus dem Lateinischen und bedeutet übersetzt so viel wie "Landhaus". Und so wurden in der Antike römische Landhäuser oder Herrenhäuser des Landeigentümers bezeichnet. Dasselbe gilt auch für die Renaissance, in der die Villa als ein repräsentativer Landsitz der herrschenden Bevölkerung galt. Zunächst befanden sich Villen auf dem Land. Gegensätzlich zu Bauernhöfen waren sie jedoch nicht für die landwirtschaftliche Nutzung ausgelegt, sondern dienten häufig als Zweiwohnsitz. Dorthin konnte die reiche Bevölkerungsschicht im Sommer zurückziehen.
Der Architekt Andrea Palladio ist an dieser Stelle ein wichtiger Name hinsichtlich der Gestaltung von Villen. Der bekannte Villenbaumeister kreierte idealtypische Bauwerke, nach deren Vorbilder Jahrhunderte über gearbeitet wurde. Mit seiner Architektur versuchte er unter Beachtung ästhetischer Prinzipien und Proportionen Gebäude zu errichten, die neben der Baufunktion auch Bauplatz und individuelle Bedürfnisse des Auftraggebers berücksichtigen.
Ab der Renaissance wurden Villen auch nicht mehr ausschließlich auf dem Land errichtet. Die wohlhabende Stadtbevölkerung strebte nun auch nach Wohnsitzen in Stadtnähe oder Stadtrand. Die Nähe zur Stadt verkürzte Transport- und Reisewege. Gleichzeitig war die Lage am Rande einer Stadt optimal, um gleichzeitig des Trubels der Stadt zu entfliehen. Villen, die damals am Stadtrand befindlich waren, findet man heute häufig im Zentrum der Stadt. Dies liegt am Wachstum und der Ausbreitung der Städte. Also wundert euch nicht, wenn ihr heute Villen vorfindet, die sehr zentral in großen Städten liegen - früher war die Bebauung viel geringer.
Im 19. Jahrhundert wurde die Bezeichnung der Villa auf vor allem freistehende Häuser des Großbürgertums übertragen. Diese Villen befanden sich meist am Stadtrand, häufig mit einer passend angelegten Parkanlage. Heute würden wir solche Bauten wohl mehr als Einfamilienhäuser bezeichnen.
Nun gibt es aber immer noch Redewendungen und Formulierungen wie: "auf großem Fuß leben" oder "Das Haus ist wohl eher eine Villa". Also unterscheiden wir wohl offensichtlich heute noch zwischen einem Haus und einer Villa. Diese Kriterien sind jedoch nicht mehr so eindeutig. Mit der rapide wachsenden Bevölkerung ab dem 20. Jahrhundert entstanden Einfamilien- und Mehrfamilienhäuser. Hochhäuser ermöglichten darüber hinaus vielen Menschen einen Wohnraum zu ermöglichen. Wohnraum expandierte in alle Formen und Dimensionen. Doch erst mit dem ausgehenden 20. Jahrhundert gewannen Bauwerken und ihre Funktion wieder eine Stellenwert. Historische Villen wurden "wiederentdeckt". Zuvor waren die Gebäude zu groß für eine Familie, die Aufteilung für mehrere Familien aber durch den Grundriss nicht möglich. Die Räume waren meist zu hoch und die Technik veraltet. Durch aufwändige Renovierungen wurden alte Villen umgenutzt und beherbergen nun Kanzleien, Kindertagesstätten oder sind Gebäude des öffentlichen Lebens.
Und was ist mit neu errichteten Villen? Es gibt kein Handbuch mit Kriterien, die eine moderne Villa ausmachen. Aber anhand einiger architektonischer Merkmale lässt sich eine Villa zumindest eingrenzen. Häufig ist die Größe ein Faktor. Freistehende Gebäude, entweder mit einer überdimensionierten Wohnfläche auf einer Ebene oder ein offener Grundriss über zwei bis drei Geschosse können ein Hinweis sein. Ebenso wie der Einsatz verschiedener zeitgenössischer Materialien und große Fensterflächen.