Das Merkel'sche

Das Merkel’sche?

Wenn man sich mit der Geschichte der Stadt Esslingen befasst, so stößt man immer wieder auf bestimmte Personennamen, Familiennamen und Unternehmen. Namen wie die Emil Kessler, Paul Eberspächer oder gar der J.-F.-Schreiber-Weg erzählen von einer über 1200 Jahre alten Stadtgeschichte.

Unweigerlich trifft man bei Recherchen, wie auch beim Spazierengehen, auf den Namen “Merkel”. Die Villa Merkel, heute eine Galerie für zeitgenössische Positionen, ist vermutlich das bekannteste Beispiel. Beim Flanieren um die Galerie bewegt man sich übrigens im Merkel’schen Park. Und ein paar Gehminuten entfernt stößt man auf die Merkelstraße sowie auf das Merkel’sche Bad. In der Literatur findet man bei der Suche nach den Begriffen “Merkel” und “Esslingen” auch andere Bauwerke wie beispielsweise den Alicensteg.

Doch wer war denn eigentlich der oder die namensgebende “Merkel”?

Wer war denn eigentlich?

Die Benennung von Gebäuden und Parkanlage geht zurück auf den deutschen Industriellen Oskar Merkel (* 9. Oktober 1836 in Esslingen; † 28. Mai 1912).

Oskar Merkel war der älteste Sohn des Ehepaares Johannes und Louise Merkel. 1830 hatte sein Vater mit zwei Esslinger Tuchmachern und Kaufmännern (Conrad Wolf und Ludwig Kienlin) eine Weberei und Spinnerei übernommen. Fortschrittlich für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts stießen die Inhaber der Firma in den kommenden Jahren die Weberei ab und konzentrierten sich auf die Produktion von Stickgarn - ein Produkt, das unter dem Namen “Esslinger Wolle” weltweit bekannt werden sollte.

Johannes Merkel handelte jedoch nicht nur bei der Produktion fortschrittlich. Gewinne wurden wieder in Firma investiert, sodass neue Technologien bezahlt und eingesetzt werden konnten. Beispielsweise konnte ab dem Jahr 1842 die zweite Dampfmaschine in ganz Württemberg in Betrieb genommen werden.

Ab 1869 übernahm Oskar Merkel die Firma Merkel und Kienlin.

Der Namensgeber

Gefördert von seinem Vater, erhielt Oskar Merkel zunächst eine humanistische Schulbildung. In der französischen Schweiz und in England konnte er sich darüber hinaus weiterbilden und sich auf die Arbeit in der väterlichen Firma vorbereiten.

In den späteren Jahren wurde Oskar Merkel außerdem Mitglied im Bürgerausschuss und in der Volkspartei. Er engagierte sich als Vorstand für den Esslinger Liederkranz und war Präsident des Schwäbischen Sängerbunds. Zudem wurde ihm Ehrenbürgerwürde der Stadt Esslingen verliehen.

Ein voller Lebenslauf, oder? So vielseitig wie die unterschiedlichen Vereine, in welchen Merkel tätig war, so vielseitig sind auch seine gestifteten Gebäude an die Stadt Esslingen.

Das Merkel’sche Bad

MerkelschesBad

Das Gebäude wurde in den Jahren 1905 - 1907 nach den Entwurfsplänen des Gießener Architekten Hans Meyer ausgeführt. Stifter des Bades war der Fabrikant Oskar Merkel. Doch was ist an solch einem öffentlichen Bad besonders?

Neben einem Schwimmbecken bot das Hallenbad auch Dusch- und Wannenbäder für die Arbeiter der Umgebung, in deren Häusern sanitäre Einrichtungen noch nicht die Norm waren. Auch hier findet sich wieder der Fortschrittsgedanke, dem auch dem Vater von Oskar Merkel zugesprochen wurde.

Mit der Industrialisierung wuchs die Bevölkerung in Esslingen. Viele Firmen hatten sich im Umkreis angesiedelt, vermutlich auch wegen des Anschlusses an das Eisenbahnnetz ab 1846. Der oben genannte Emil Kessler mit seiner Esslinger Maschinenfabrik mag einer der Auslöser dafür gewesen zu sein. Doch ein andermal mehr dazu.

Mit dem Wachstum der Bevölkerung war nicht nur Wohnraum ein Problem, auch der Bedarf an hygienischen und sanitären Einrichtungen wuchs gemeinsam mit der Zahl der Stadtbewohner. Die häusliche Wasserleitung und der Gasboiler wurden zwar schon Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden, doch diesen Luxus konnten sich zunächst nur die ganz Reichen leisten. Mit dem Bau eines öffentlichen Bades, das auch Duschen zur Verfügung stellte, konnten sich alle Bürger für wenig Geld, reinigen. Zudem hatten die Menschen die Möglichkeit, Schwimmen zu lernen.

Für eben diese Gedanken, sowie die Funktionalität und die Finanzierung erhielt Oskar Merkel die Ehrenbürgerwürde der Stadt Esslingen.

Darüber hinaus ist das Merkel’sche Bad noch heute eines der letzten erhaltenen Jugendstil-Hallenschwimmbäder Deutschlands: Die Jugendstilelemente sind heute so weit wie möglich im Originalzustand erhalten, sodass außen wie innen ein authentisches Bild erhalten bleibt.

MerkelschesBad

MerkelschesBad

MerkelschesBad

Den Giebel des Gebäudes ziert ein Mosaikschmuck, der ganz in der Manier des Jugendstils gestaltet ist. Eine nackte Frau wendet dem Beobachter den Rücken zu, während sie die vor ihr schwimmenden Schwäne füttert. Es wirkt als hätte man sie in einem intimen Moment gestört. Links daneben liegt ein Tuch drapiert, dass mit seiner Musterung ganz in die Zeit um 1900 passt. Im Licht der Sonne lässt sich die Reflektion der kleinen Steine erkennen.

Die Ochsenaugenfenster rechts und links an der Fassade werden von sich windenden Meerjungfrauen gesäumt, die sich mit ihrere Köperform ganz den Rundungen des Fensters anpassen. Diese Gestaltung mit weiblichen Formen und dem Spiel mit organischen Ornamenten machen das Gebäude zu einem Sinnbild seiner Zeit.

Die ästhetischen Bauweise auch der Fortschrittsgedanke sind die Besonderheit des Merkel'schen Schwimmbads.

MerkelschesBad

Die Villa Merkel

Erst ab dem Jahr 1875 lebte die Familie Merkel in der Villa, die für die Familie von dem Architekten Otto Tafel errichtet wurde. Zuvor lebte die Familie im Elternhaus Merkels. Doch mit der Geburt der drei Kinder Eugen, Alice und Lina, musste die Familie den Wohnraum vergrößern. Mit der Flucht ins Grüne und dem Bau der Villa in unmittelbarer Nähe der Stadt passt der Bau ganz in das Gefühl und Verständnis der Zeit. Wie ich schon bei dem Beitrag über Fabrikantenvillen beschrieben hatte, zogen gerade reiche bürgerliche Familien und Fabrikanten an die äußeren Stadtränder, um mehr Natur zu erfahren und gleichzeitig die Vorteile der Stadt zu genießen.

MerkelschesBad

Die Villa wurde im Stil der Neorenaissance errichtet und erfüllte damit auch ganz den Geschmack der Zeit. Die Entstehungszeit - die Gründerzeit - war die Reaktion auf den sich schnell wandelnden Lebensalltag und die Veränderung durch die Industrialisierung, mittels der Hinwendung zu Tradition und Geschichte. Wie auch schon beim Merkel’schen Bad, wurde auch in der Architektur und Funktion des Wohngebäudes, Ästhetik und Fortschritt miteinander vereint.

Der Eingang befindet sich an der Nordseite der Villa - der Stadt und Bahnstrecke zugewandt, während der als Portikus gestaltete Eingangsbereich an antike Tempel erinnert. Außerdem ist der Eingangsbereich mit Zementmosaikplatten gestaltet. Solche Zementfliesen erfuhren im 19. Jahrhundert eine große Verbreitung in Europa und gerade in der Gründerzeit und im Jugendstil wurden sie vielfach eingesetzt.

MerkelschesBad

Die Rückseite der Villa wird zur einen Seite mit einem Standerker und zur anderen Seite mit einem anschließenden Wintergarten abgeschlossen. Die Fassade ist zurückhaltend gestaltet, ohne viele Dekorationselemente. Die Beletage sondert sich von den anderen Geschossen durch Rundbogenfenster ab.

Das Innere der Villa passt sich dem äußeren Erscheinungsbild an. Ein schwarzweißer Mosaikboden führt die Gestaltung des Eingangsbereichs weiter. Ein Vestibül mit umlaufender Galerie gestaltet die offen gestaltete Eingangshalle. Ionische und korinthische Säulen stützen die Galerie und verweisen damit ebenfalls auf antike Gestaltungsmerkmale. Die Eingangshalle ist mit einem Glasdach gedeckt und von Tageslicht durchflutet.

MerkelschesBad

MerkelschesBad

MerkelschesBad

Hervorzuheben an der Villa ist darüber hinaus die Bausubstanz selbst. Die Umfassungsmauern der Villa bestehen aus Stampfbeton. Sie ist damit eines der frühen, aus Beton errichteten Wohnhäuser in Deutschland.

Der Park

Die Villa Merkel befindet sich im sogenannten Merkel’schen Park. Die Anlage wurde als Landschaftsgarten konzipiert. Neben Rasenflächen und Spazierwegen sind heute noch Bäume aus der Gestaltungszeit erhalten. Zudem befinden sich die beiden zur Villa gehörenden Gebäude: das Bahnwärterhaus und das Gärtnerhaus in der Parkanlage.

Zunächst war die Park, zwischen Neckarkanal und Bahngleisen ein privater Garten. 1970 ging der Besitz an die Stadt Esslingen über und wurde zu einer öffentlichen Parkanlage. Noch heute ist dieser kleine Park eine Oase um nach der Arbeit ein bisschen zu flanieren, eine Runde Federball zu spielen oder einfach Zeit im Grünen zu verbringen.

Der Alicensteg

Und zu guter Letzt möchte ich noch auf ein kleines Bauwerk hinweisen, dass ebenfalls von Oskar Merkel in Auftrag gegeben wurde. Mit dem Bau des eisernen Fußgängerstegs, über den Neckar, wurden Jakobsweg und Merkelpark, Zollberg und die Innenstadt miteinander verbunden. Benannt wurde die kleine Brücke nach Alice, der Tochter Merkels. 1891 wurde der Fußgängersteg als Geschenk an die Stadt Esslingen übergeben.

Seit 2015 hält der Alicensteg Radfahrer und Jogger in Atem. Der die Industrialisierungsgeschichte der Stadt erzählende Füßgängerüberweg wurde zu diesem Zeitpunkt gesperrt und der Abriss diskutiert. Was die Zukunft bringt ist an dieser Stelle jedoch ein anderes Thema.

Ein Resumée

Heute habe ich euch viele Bauwerke vorgestellt und einen kurzen Abriss über einen namensgebenden Mann gegeben. Eng verbunden mit der Stadt, erzählen die Gebäude, der Park und die kleine Brücke die Geschichte einer Familie und die Entwicklung einer Stadt.

Ganz besonders interessant an diesem Beitrag war für mich, wie verwoben die Strukturen in der Historie sind. Zu Beginn habe ich Beispiele bekannter Esslinger Namen genannt. Bei meiner Recherche nach Oskar Merkel und der Firma seiner Familie bin auf eben diese beispielhaft gewählten Namen gestoßen. Gerade zur Zeit der Industrialisierung der Stadt schienen sich die Wege von Familien, Architekten, Firmen und Gedanken immer wieder zu kreuzen.

Womöglich ist gerade das das Spannende. Geschichte(n) die lebendig sind. Sie erzählen nicht nur Fortschritt und Erinnerung, sondern verweisen auch auf unsere Wurzeln. Vielleicht müssen wir uns immer wieder mal klar machen, dass jedem Gebäude eine Idee obliegt. Sei es der Fortschritt eines öffentlichen Bades, die Ästhetik eines Bauwerks, welche auf zurückliegendes Gedankengut verweist oder die Brücke, die an eine Tochter erinnern soll.