Rathaus Esslingen
Warum sind Rathäuser eigentlich so ein wichtiger Ort?
Rathäuser sind repräsentative Gebäude und beherbergen meist den Verwaltungssitz einer Stadt oder Gemeinde. In der Regel werden sie auch als Sitzungs- oder Tagungsorte genutzt. Alleine diese Begründung macht deutlich, das Rathäuser mehr sind, als nur zentral gelegene Gebäude - sie deinen in erster Linie unserer Gemeinschaft.
Rathäuser gibt es schon seit der Antike, und dienten als Ort, an welchem ein Rat zusammen kommen konnte. Ab dem Mittelalter waren Rathäuser wichtig, vor allem in Folge der Verleihung des Stadtrechts. Sie wurden darüber hinaus aber für unterschiedliche Zwecke genutzt. In den oberen Stockwerken waren zumeist die Säle für Zusammenkünfte untergebracht, währen sich im Erdgeschoss häufig einer Art Markthalle befand.
Für Tagungen des Stadtrats und die Zusammenkunft von Räten und Richtern sollten Rathäuser darüber hinaus ein repräsentatives Erscheinungsbild haben. Dies ist auch die Begründung, warum viele Rathäuser im Zentrum einer Stadt zu finden sind und gleichzeitig eine reichhaltige und architektonischen Ausgestaltung besitzen.
Das Alte Rathaus in Esslingen
Gleich zwei Rathäuser befinden sich gegenüber am Marktplatz in Esslingen am Neckar. Grund hierfür sind nicht nur die städtebaulichen Veränderungen und die Vergrößerung des Verwaltungsapparates, sondern auch die Umnutzung der Räumlichkeiten. Das Alte Rathaus wurde um 1420 als städtisches Kauf- und Steuerhaus errichtet. Zu diesem Zeitpunkt war das Erdgeschoss ein öffentlicher Raum für den Fleischverkauf und die Verteilung, sowie den Verkauf weiterer Waren. Problematisch für die Bauweise aus Holz, war die damit verbundenen täglichen Reinigung mit großen Mengen Wasser, sodass sich über die Zeit hinweg nicht nur die Funktion des Gebäudes zwangsläufig ändern musste, sondern auch die Form des Hauses sich durch die Wassereinwirkung auf das Holz veränderte.
Diese Einflüsse sind jedoch für das äußere Erscheinungsbild des Rathauses unerheblich. Stattdessen steht der prächtige Fachwerk-Südgiebel als Hauptwerk des alemannischen Fachwerkbaus im Fokus. 1586 bis 1589 wurde vor der Nordseite durch Heinrich Schickhardt eine geschweifte Knickgiebelfront mit Voluten im nordalpinen Renaissancestil errichtet. Die Fassadenfarben müssen wohl nach der Manier der Renaissance gestalt worden sein, und entsprechen nicht den heutigen Farben rot, weiß und grün.
Die astronomische Uhr
Die astronomische Uhr von 1592 in der Mitte des Giebels ist ein prägendes Element des Gebäudes. Über der Zeitanzeige befindet sich die Astronomische Anzeige. Der Sonnenzeiger macht in 365,25 Tagen eine Umdrehung im Uhrzeigersinn und markiert den Durchgang der Sonne durch die Tierkreiszeichen. Der Mondzeiger braucht in gleicher Drehrichtung für einen Umlauf 27,32 Tage und gibt die Mondphasen an.
Der Drachenzeiger macht im Gegenuhrzeigersinn in 18,61 Jahren einen Umlauf. Mit diesen Bewegungen lassen sich Voll- und Neumond, Sonnen- und Mondfinsternisse ablesen. Befinden sich der Sonnenzeiger, der Mondzeiger und der Drachenzeiger auf einer Linie, bedeutet dies, dass Erde, Sonne und Mond sich auf einer Ebene liegen und es wird eine Sonnen- oder eine Mondfinsternis angezeigt.
Die allegorischen Figuren Justitia und Temperantia bewegen sich bei jedem Viertelstundenschlag. In der Mitte die Nische für die Planetengötter. Jeder der sieben Planeten (Jupiter, Prudentia, Mars, Merkur, Neptun, Venus, Saturn) steht für einen Wochentag. Das Wappentier der Stadt - ein Adler - schlägt zu den Schlägen der Glocke die Flügel.
Eine überdimensionierte Uhr an einem Rathaus ist übrigens nichts Ungewöhnliches. Häufig war die einzige öffentliche Uhr einer Stadt für alle sichtbar hier angebracht, damit eine einheitliche Zeit gelten konnte.
Bemerkenswert ist, dass das historische Uhrwerk des Glockenspiels einige Jahre als „verschollen“ galt. Während der umfassenden Sanierung des Alten Rathauses im Jahr 1998 verschwand es spurlos. Erst 2003 wurde es zufällig in einem Kellerraum des Neuen Rathauses wiederentdeckt und anschließend restauriert sowie erneut installiert.
Das Glockenspiel
Ein besonderes Highlight des Glockenspiels im Alten Rathaus ist seine Einzigartigkeit in der Region: Es gehört zu den wenigen süddeutschen Glockenspielen, auf denen regelmäßig Live-Konzerte stattfinden. An den übrigen Tagen erklingt das Spiel automatisch – gesteuert durch 29 Lochbänder, die insgesamt 216 Musikstücke und Arrangements früherer Glockenspieler wiedergeben.
Das Glockenspiel selbst ist übrigens kein ursprünglicher Bestandteil des Alten Rathauses. Es wurde erst 1929 – also rund 300 Jahre nach dem Bau des Gebäudes – eingebaut. Anlass war die umfassende Erneuerung des Rathauses unter der Leitung von Professor Lempp im Jahr 1926. Im Zuge dessen stifteten engagierte Esslinger Bürger ein Glockenspiel mit zunächst 24 Glocken.
Zu hören ist das Glockenspiel täglich zu folgenden Uhrzeiten: um 8:02 Uhr (außer sonntags), 12:03 Uhr, 15:02 Uhr, 18:02 Uhr und 19:32 Uhr.
Im Inneren des Alten Rathaus
Von oben nach unten
5 Geschosse umfasst das Esslinger Rathaus.
Im Erdgeschoss ist heute die sogenannte Schickhardt-Halle untergebracht. Hier finden häufig öffentliche Sitzungen statt, manchmal aber auch Konzerte oder andere öffentliche Veranstaltungen. Das Innere der Schickhardt-Halle erinnert von ihrem Aussehen ein bisschen an den hier gezeigten Sitzungssaal, dieser befindet sich im 2. Obergeschoss. Hier findet unter anderem die Gemeinderatsarbeit statt.
Auffällig ist in beiden Fällen, dass es sich um große weite Räume handelt, die von Balken getragen werden. Dies geht vor allem auf die Nutzung zurück. Das Erdgeschoss wurde über viele Jahrhunderte hinweg als Markthalle genutzt.
Ursprünglich muss dieser Bereich vermutlich sogar recht offen gewesen sein. Da hier insbesondere Fleisch gehandelt wurde, musste der Raum am Abend mit Wasser gereinigt werden. In vielen solcher ehemaligen Markthallen ist daher das Holz verändert, durch die ständige Berührung mit dem Wasser.
Der heutige Sitzungssaale, also auf der gesamten oberen Etage, befand sich bis zum 16. Jahrhundert ein Kornspeicher. Dieser sollte im Notfall die gesamte Stadt versorgen können.
Die Stuckhalle - ein Kleinod
Die Nutzung des Gebäudes änderte sich drastisch durch die Anpassungen Heinrich Schickhardts. Er war ein Hofbaumeister des Herzogtums Württemberg und ein bedeutender Baumeister der Hochrenaissance Deutschlands. Für Kunsthistoriker und Kunstgeschichte ist Schickhardt von herausragender Bedeutung. Sein umfangreiches, akribisch geführtes Werkverzeichnis blieb als bedeutende Hinterlassenschaft bis heute erhalten. Seine Handschrift lässt sich heute noch am Alten Rathaus innen, wie außen deutlich erkennen.
Ihr seht hier einen vor dem 16. Jahrhundert noch nicht vorhandenen Raum, den Schickhardt separierte und als sogenannte Stuckhalle neu konstruierte.
Die Stuckhalle erscheint fast schon märchenhaft und hat sehr große Ähnlichkeiten zum Lustschloss in Stuttgart. Dort jedoch wurde der Raum aus verschiedenen Marmorarten errichtet, während in Esslingen die Säulen und Verzierungen, also der gesamte Stuck aus Gips besteht. Die Säulen bestehen aus Holz, damit der Gips an Stein erinnert, wurde Ruß mit beigemischt, um eine gräuliche Farbe zu erzeugen.
Steinmetze und Baumeister reisten im 16. Jahrhundert häufig nach Italien und kamen zurück mit Skizzen der ganz neuen Formenwelt der Renaissance. So auch hier: die Substanz ist alt, aber die Formensprache neu. Wobei die Formen in diesem Fall nicht einzeln gefertigt wurden, sondern in fertige Formen gegossen wurden.
Heinrich Schickhardt “tobte” sich in der Schickhardt regelrecht an der Formensprache aus. Geometrische Bänder schmücken die Säulen und korinthische Kapitelle vollenden sie. Löwenköpfe und Putti, vielleicht auch die Darstellung kleiner blasender Winde, unterbrechen die Bänder und füllen die leeren Flächen. Rechts und links der Türen sind Pilaster in Form von angedeuteten Atlanten angebracht.
Offensichtlich hatte er eine große Affinität zum Wandschmuck. So sehr, dass er sich in der Halle selbst verewigte. Zu sehen ist hier die Büste von Heinrich Schickhardt. Dies ließ sich aufgrund von Gemälden aus seiner Familie rekonstruieren, da seine Kinnpartie mit der anderer Familienmitglieder übereinstimmt. Die Büste wurde auf einer Gürtelschnalle angebracht. Der Geschichte nach war das Geld für den Umbau knapp, sodass er “den Gürtel enger schnallen musste”. Diese Herleitung bleibt aber nur eine Mutmaßung.
Das Lemppzimmer
Direkt an die Stuckhalle schließt das Lemppzimmer an - eigentlich müsste es Schickart-Zimmer heißen, da dieser den Raum ursprünglich eigenständig ausgestaltet. Geboren in Herrenberg, war sein Vater ein “Holzkünster”, eine Familientradition, bei welcher bereits der Großvater das Chorgestühl in einer Kirche in Herrenberg fertigte. Damit war das Wissen gesetzt, die Stübe im Lemppzimmer mit Holz zu gestalten.
Das Anliegen Schickardts war, das Gebäude nach zeitgenössischer Nutzung zu gestalten: unten das Gewerbe, darüber die Stuben und Aufenthaltsräumen. Ursprünglich diente dieser Raum dem Sitz des sogenannten Oberumgelder. Seine Aufgabe war die unmittelbare Verwaltung der verschiedenen Einnahmen der Stadt. Jeder Oberumgelder beaufsichtigte in seinem Wohnort die besteuerten Wirtschaften und Produktionsstätten.
Die Vertäfelungen im Raum wurden besonders schön gestaltet. Besonders hübsch anzusehen sind die Portale mit korinthischen Säulen. Hier lässt sich die Wiederaufnahme antiker Motive in der Renaissance verdeutlichen.
Der gezeigte Ofen stammt übrigens aus einer späteren Zeit, so wurde der Raum mit Möbeln im 18. und 19. Jahrhundert ergänzt.
Veränderungen im alten Rathaus wurden immer wieder umgesetzt. 1926 baute Rudolph Lempp den Raum erneut um. Er war deutscher Architekt und Baubeamter im Raum Stuttgart. Genutzt werden sollte das Rathaus ab diesem Zeitpunkt als Bürgerhaus. Zuvor wurde das Rathaus übrigens unter anderem als Räume für das Museum, Bücherei und auch als Mädchenschule genutzt.
Noch mehr Uhren
An dieser Stelle rücken die Uhren im Rathaus nochmals ins Rampenlicht.
Sie stammen aus dem 16. Jahrhundert. Sie sind saniert, aber fast im Originalzustand. Auch die Uhrwerke sind noch original aus dieser Zeit. Gesteuert werden sie durch das Hauptfahrwerk im Geschoss darunter. Durch Umleiten bewegen sich die Zeiger mechanisch.
Der Minutenzeiger ist der kleine Zeiger. Beim Zeiger mit dem Finger handelt es sich um den Stundenzeiger, der Mond ist hier nur als Gegengewicht angebracht.
Die gemalten Ziffern stammen aus der Jahr 1739. Das Gemälde unter den Zeigern signalisiert nicht nur die 12 Stunde, sondern vermittelt den zu dieser Zeit verbreiteten Memento-Mori-Gedanken. "Memento mori" ist ein lateinischer Ausdruck, der "Bedenke, dass du sterblich bist" bedeutet. Es ist eine Erinnerung an die eigene Sterblichkeit und Vergänglichkeit allen Lebens. Dieser Gedanke wurde in der Kunst und Literatur oft als Mahnung zu einem tugendhaften Leben und zur Wertschätzung des gegenwärtigen Moments verwendet.
Links unten an der Uhr lässt sich ein kleiner Putti erkennen. Er repräsentiert die Geburt und den Beginn des Lebens, dabei stützt er sich auf einen menschlichen Schädel. Dieser steht als Symbol für den Tod und die Vergänglichkeit. Auf der rechten Seite lassen sich eine Sanduhr sowie eine Kerze erkennen. Beide sind durch ihre begrenzte zeitliche Funktion als Repräsentanten der Vergänglich zu verstehen.
Die Uhren zeigen in diesem Fall nicht nur die Zeit sondern dienten auch zu repräsentativen Zwecken, da Stuckhalle, heutiges Lemppzimmer und der grüne Salon unter anderem als Unterkunft für die hohen Gäste der Stadt dienten.
Im großen Bürgersaal
Im großen Bürgersaal des Alten Rathauses entfaltet sich die klare, kraftvolle Holzarchitektur in eindrucksvoller Weise und verleiht dem Raum eine besondere Ausdruckskraft. Der zweischiffige Saal orientiert sich am architektonischen Konzept des Alten Rathauses: Geteilt wird er durch eine Reihe von drei massiven Achtecksäulen – ein im Mittelalter beliebtes Raumkonzept für profane Repräsentationsräume, wie es sich beispielsweise auch in den Refektorien von Maulbronn wiederfindet.
Diese Säulen tragen nicht nur die statische Last des Raumes, sondern auch seinen bedeutendsten Schmuck. Aus den vier eichenen Bögen, die vom doppelten Mittelunterzug sowie den Bundunterzügen ausgehen, sind in meisterhafter Schnitzkunst figürliche Darstellungen herausgearbeitet, die von Wappenschilden begleitet werden. Diese ausdrucksstarken Holzfiguren zeugen davon, dass den Schöpfern des Saales offenbar eine nahezu sakrale Wirkung des Raumes vorschwebte.
Der erste Bogen an der Wand zur Vorhalle trägt eine eindrucksvolle Christusfigur, die segnend dargestellt ist und von einem Spruchband sowie einer kleineren Begleitfigur flankiert wird. An der nächsten Säule erblickt man eine prachtvolle Herrscherfigur – wohl einen Kaiser – mit Krone, Reichsapfel und einem majestätisch wallenden Bart. Eine weitere Figur trägt eine Königskrone, während drei andere durch ihre bischöflichen Mitren und liturgischen Mäntel eindeutig als kirchliche Würdenträger zu erkennen sind. Drei weitere Gestalten halten Schwert und Fahne, ihre eigentümlich bauschigen Kopfbedeckungen deuten auf weltliche Machtträger hin. Alle Figuren stehen unter kunstvoll gearbeiteten Baldachinen – besonders opulent beim Kaiser –, was ihre Bedeutung zusätzlich unterstreicht. Vermutlich handelt es sich bei ihnen um eine Darstellung der weltlichen und geistlichen Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches.
Die dritte Säule wurde später teilweise durch eine eingezogene Wand verdeckt, wodurch nur noch eine der ursprünglichen Figuren erhalten blieb. Weitere Skulpturen – darunter auch jene an der aus der Südwand vorspringenden Konsole – fielen im Zuge des späteren Ausbaus zur Ratsstube leider der baulichen Umgestaltung zum Opfer.
Im kleinen Sitzungssaal
Einen ganz besonderen Reiz hat der kleine Sitzungssaal im Alten Rathaus. Nach drei Seiten eröffnen sich Fensterreihen zum Marktplatz hin und lassen viel Licht ins Innere - kein Wunder also, dass hier gerne geheiratet wird.
Dieser Raum wurde von Rudolf Lempp gestaltet und zeichnet sich durch seine schönen Holzvertäfelugen aus. Hier wurden zwei Räume zusammengefasst.
Besonders schön anzusehen sind die übereinander gestapelten Truhen. Hier wurden bereits im 15. Jahrhundert die Steuerunterlagen gesammelt. (Die wunderschön gestalteten Truhen stammen aus dieser Zeit und beherbergten dabei lediglich die Unterlage von ca. 5000 Einwohner:innen, denn 60% der Bürger:innen zahlten gar keine Steuern.) Wusstet ihr, dass man früher überhaupt keine Schränke hatte, sondern die ersten “Schrankwände” aus übereinander gestapelten Truhen bestanden?
Ein Schluss ohne Ende
Leider kann ich euch keine Bilder zu den zwei fehlenden Räumen: die Bürgerstube und die Ratsstube zeigen. Diese waren zum Zeitpunkt meiner Besichtigung geschlossen - vielleicht folgen sie ein andermal.