Die Mittlere Beutau in Esslingen
Esslingen am Neckar
Esslingen umgibt einen ganz besonderen Charme. Kleine verwinkelte Gassen, üppige Fachwerkhäuser, alte Kirchen. Ließt man über Esslingen, so steht zumeist das alte Rathaus im Mittelpunkt, das zweifelsohne durch seine Architektur und Farbigkeit besticht. Dennoch gibt es in Esslingen darüber hinaus sehenswertes, dass sich nicht direkt im Zentrum befindet. Beginnen möchte ich diesen Beitrag dennoch am Marktplatz. von hier aus nehme ich euch mit auf eine Reise durch die Schöne Beutau hinein in die Geschichte der Stadt.
Station 1: Der Marktplatz als Eingang in die Beutau
Die gezeigten Gebäude befinden sich am Übergang zu den Beutau. Ihre Größe und ihr repräsentativer Charakter zeugen von ihren Bewohnern. Die weinhandelnde Stadt-Aristokratie wohnte im Viertel rund um den Markt, während die Weingärtner zur Pacht in der Beutau lebten.
Den größten Teil der Weinberge besaßen die Patrizier. Bis zum Ende der Reichsstadt war die größte aller Zünfte die der Weingärtner. 1725 war die Hälfte aller steuerpflichtigen Bürger Mitglied dieser Zunft.
Dabei kann der Esslinger Wein auf mindestens 1200 Jahre Anbau und Kultivierung zurückblicken. Bereits seit dem 9. Jahrhundert ist sein Transport von der Fulradzelle zum Mutterkloster St. Denis bei Paris nachgewiesen. Die Einfuhr fremden Weins blieb zumindest formal viele Jahrhunderte verboten. Wein war im Mittelalter (bis heute) ein beliebtes Volksgetränk und mit den Handelssperren durch Württemberg ab dem 16. Jahrhundert wurde der Weinhandel vermehrt zur Haupteinkommensquelle Esslingens.
Der Esslinger Wein wurde hauptsächlich nach Bayern und in den österreichischen Raum exportiert. Das amtliche Weinmaß in Württemberg und sogar in Bayern war der Esslinger Eimer, der circa 300 Liter fasste. Er ist seit 1258 nachgewiesen und verdeutlicht die Bedeutung des Esslinger Weinhandels.
Station 2: Die Beutau und der Wein
Die Beutau ist eine der drei historischen Vorstädte Esslingens, mit denen die staufische Kernstadt erweitert wurde. Die Beutau bestand ursprünglich aus der Oberen, Mittleren und Unteren Beutau, diese drei Beutaus befinden sich im Tal des Geisebachs, zwischen Heller und Burgberg.
Die heutige Geiselbachstraße entstand in den 30er Jahren durch die Überbauung des Geiselbaches und zeichnet seinen alten Lauf nach. Diesem verdankt das Viertel indirekt seinen in Deutschland einzigartigen Namen: Das Wasser lieferte die Energie für eine Ölmühle, im Mittelalter “bytun mulin” (Schlag- oder Stampfmühle) genannt. Der Name Beutau kommt also im erweiterten Sinne von “auspressen”.
Die Beutau war die Vorstadt der ärmeren Leute, überwiegend Weingärtnern, sodass heute noch zahlreiche “Wengerterhäuser” erhalten geblieben sind. Die soziale Stellung der Weingärtner lässt sich an den vielen kleinen Wohnhäusern gut ablesen, in welchen sie als Pächter die Räume bewirtschafteten. Besonders sind die großen, inzwischen allerdings oft zugemauerten Kellertore, durch die die Weinfässer heraufgeholt oder hinabgelassen wurden.
Die Pächter mussten die reifen Trauben in den Keltern der Weinbergbesitzer abliefern und erhielten gekelterten Wein als Bezahlung, den sie in ihren Häusern verkaufen durften. Daraus entstanden die Besenwirtschaften, von der sich eine in der Mittleren Beutau befindet. Dass der Wein und seine Herstellung in der Beutau eine zentrale Rolle spielt, zeigt sich auch an den erhaltenen Nutzbauten: Drei ehemalige Pfleghöfe, (Niederlassungen auswärtiger Klöster mit Weinbergbesitz in Esslingen) sind hier erhalten. Die Klöster Blaubeuren, Salem und Kaisheim sicherten sich so den Nachschub an Esslinger Wein.
Die Beutau präsentiert sich als einzigartiges Zeugnis der Weinbaugeschichte Esslingens.
Station 3: Ein kleiner Brunnen unter der Brücke
77 Brunnen hat Esslingen. Einer davon ist der sogenannte Beutaubrunnen. Seine heutige Gestalt erhielt der Brunnen im Jahr 1777 durch den Esslinger Stadtwerkmeister Johann Georg Meier. Die lateinische Innschrift mahnt: “Wer das Wasser schöpft, ehre die Quelle.”
Im Jahr 1564 wurde er als Brunnen am Kapellenberg erwähnt. 1616 findet er sich in den Aufzeichnungen auch unter dem Namen Blaubeurer Brunnen genannt.
Der Brunnen besteht aus einem maskenverzierten Sockel, einem darüber aufragenden Obelisken. Diese Brunnensäule ist ebenfalls mit einer Maskenvierzierung versehen. Das Material ist Stubensandstein. Als Laufbrunnen gestaltet, hat er einen polygonalem Trog.
Ein Laufbrunnen oder Röhrenbrunnen diente der Entnahme von fließendem Wasser durch Menschen und Vieh - unter anderem auch für die Herstellung von Wein. Er besitzt meist ein offenes Wasserbecken. Laufbrunnen waren wesentliche Elemente der städtischen Trinkwasserversorgung.
Der Bau der Ringstraße zu Beginn der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts führte zu einer Ortsveränderung des Brunnens an den heutigen Platz. Der Brunnen ist daher heute nur über Unterführungen zugänglich.
Station 4: Die Rose
In der Oberen Beutau 1 befindet sich dieses wunderbare Gebäude. Der Sichtfachwerkbau aus dem 16. Jahrhundert befindet sich in der Gabelung zwischen Mittlerer und Oberer Beutau auf einem trapezförmigen Grundriss.
Das Gasthaus “Zur Rose” entstand 1579, wie eine der beiden Konsolen, die den fränkischen Fachwerkbau tragen, verrät. Genauer gesagt befindet es sich auf einem Wappenschild mit Steinmetzzeichen.
Die gegenüberliegende Konsole zeigt ein kleines, seltsames Relief: zwei Mönche, die die Kapuzen ihrer Kutten über den Kopf gezogen haben, knien unter einem von Säulen getragenen Bogen zu beiden Seiten eines Kreuzes, unter dem ein Totenkopf liegt und wohl auf den Berg Golgatha verweisen soll.
Das Haus besitzt zudem barocke Türen mit handgeschmiedeten S-Beschlägen.
In seiner Funktion als Gasthof wird das Gebäude erstmals 1749 erwähnt. Im Inneren lassen sich Spuren der Neugestaltung aus dem 18. und 19. Jahrhundert finden.
Station 5: Das Zollhäuschen
Diese unscheinbare Gebäude befindet sich in der Oberen Beutau 35.
Die Nordwand des Hauses wird großenteils von der Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert gebildet. Hier endete einst die heutige Esslinger Innenstadt. Es handelt sich hier um ein Ehemaliges Zollhäuschen. 1744 wurde es urkundlich erwähnt als “das gemeine Stadt gehörige Zollhäußle”.
Auch hier lebten vermutlich wie in der gesamten Beutau Handwerker und Weingärtner.
Auf der Südseite wurde im 19. Jahrhundert eine Remise angebaut; 1924 erfolgte ein Umbau, bei dem die einstöckige Remise aufgestockt und das Obergeschoss des Wohnhauses erhöht wurde. Dabei wurden Laube und Erker hinzugefügt und beide Gebäudeteile erhielten ein gemeinsames Dach.
Station 6: Blaubeurener Pfleghof
In der Mittleren Beutau 11 befindet sich der sogenannte Blaubeurener Pfleghof. 1238 wird er erstmals erwähnt.
In seiner Funktion sicherte der Blaubeurer Pfleghof neben dem Salemer und dem Kaisheimer Pfleghof (die in den kommenden Beiträgen folgen werden) durch Weinbergbesitz in Esslingen den Weinnachschub in den Klöstern Blaubeuren, Salem und Kaisheim.
Ab 1536 wurde das Gebäude durch einen sogenannten (württembergischen) Pfleger verwaltet.
Es handelt es sich um einen zweigeschossigen, zur Ringstraße hin giebelständigen Bau, mit massivem, verputztem Erdgeschoss und Sichtfachwerk-Obergeschoss. Der östlich anschließende, später errichtete Baukörper ist dreigeschossig und mit seiner Traufseite zur Ringstraße hin ausgerichtet.
Den Neubau des Ostflügels führten 1575 der württembergische Hofbaumeister Berlin Tretsch und sein Mitarbeiter Hans Andreas Egen aus. Der rückwärtige Teil, der wohl aus dem 15. Jahrhundert stammt, wurde beim Bau der Ringstraße, die heute direkt am Gebäude vorbei führt, abgebrochen. Das Fachwerk wurde nach schwäbisch-allemanischen Vorbildern rekonstruiert. Hier lässt sich sehr gut der “Schwäbische Mann” in den Balken erkennen.
Er bezeichnet eine Form des Strebenkreuzes an einem Ständer im alemannischen und fränkischen Fachwerkbau. Es gibt regionale Unterschiede bei der Namensgebung. Der “Schwäbische Mann” erscheint als abstrakte Figur eines Menschen mit gestreckten Armen und gespreizten Beinen.
Was ist denn überhaupt ein Pfleghof?
Insgesamt sechs Bettelordensklöster und elf Pfleghöfe waren in Esslingen ansässig und wurden errichtet. Seit dem 13. Jahrhundert richteten zahlreiche auswärtige Klöster und geistliche Institutionen in der wohlhabenden Stadt Pfleghöfe ein. In diesen „Wirtschaftsfilialen“ verwalteten sie ihren Besitz.
Neun Pfleghöfe stehen heute noch. Zum einen war ein Pfleghof ein Ruheort und Absteige für Mönche und Äbte, die sich zu Verhandlungen mit Fürsten in der Stadt trafen. Zum anderen erfüllte er wichtige wirtschaftliche Funktionen für das Kloster. So wurde er als Lagerplatz und Handelsplatz für landwirtschaftliche Erzeugnisse, vor allem Wein und Getreide, genutzt. Ebenfalls war er der Sammelpunkt für die Steuerabgaben, die die Bewohner in Form von Naturalien an das Kloster abgeben mussten.
Station 7: Das Haus Nummer 49
Haus Nummer 49 befindet sich in der Mittleren Beutau. Es trägt auch den Namen Haus Bayer. Es ist ein typisches Beispiel für ein Wengerterhaus, wie man sie überall in der Beutau finden kann.
Der kleine zweistöckige Bau besitzt ein Zwerchhaus. Ein Zwerchhaus ist ein Aufbau an der Traufseite eines geneigten Daches, der einen Giebel und ein eigenes Dach besitzt. Die Bezeichnung rührt vom mittelhochdeutschen zwerch für „quer“ her, denn der First des Zwerchhauses liegt quer zum First des Hauptdaches.
1619 entstand das Gebäude. Dies lässt sich an den Eckpfosten erkennen, in welchen die Jahreszahlen eingelassen sind. Die Initialen LS und Z beziehen sich auf den Zimmermann.
Besonders ist, dass das Grundgerüst, das Gefüge von Räumen und Gängen und die Holztreppe noch original erhalten sind. Bemerkenswert ist ebenfalls der Gewölbekeller. Durch die Steillage des Grundstücks reicht der ungewöhnlich hohe Keller nur an der Straßenseite ins Erdreich hinein. Die untere Längsmauer, auf der die Gewölbetonne aufliegt, ist daher äußerst dick angelegt, um den gewaltigen Gewölbeschub aufzufangen.
1997 wurde das Gebäude zu einer Besenwirtschaft umfunktioniert und restauriert. Schon im Mittelalter war es üblich, in den Wohnstuben der Wengerterhäuser Wein auszuschenken.
Für alle Nicht-Süddeutschen hier noch eine kleiner Exkurs: Besenwirtschaften sind saisonal geöffnete Weinausschankbetriebe, in denen der Erzeuger (Winzer) seinen selbst erzeugten Wein ausschenken darf. Der Betrieb darf für höchstens 4 Monate im Jahr über 2 Zeiträume öffnen. Daher haben echte Besen einmal im Frühjahr und einmal im späten Herbst nach der Weinlese geöffnet. Wenige Sitzplätze und eine gemütliche Atmosphäre machen die Plätze in solchen Wirtschaften sehr beliebt!
Station 8: Der Salemer Pfleghof
Der Salemer Pfleghof steht am nordwestlichen Rand der staufischen Kernstadt von Esslingen. Er erhebt sich mächtige Steinbau, der sich neben der Frauenkirche erhebt, befindet sich in der Unteren Beutau 8. Die dort verlaufende Stadtmauer bildet zugleich die nördliche und östliche Hof- und Außenmauer des Anwesens. Der Bau war damit in die Befestigung der Stadt miteinbezogen. Die Zugänge zum Wehrgang sind im ersten Stock noch erkennbar.
Der Pfleghof wurde erstmals 1229 als im Besitz des Zisterzienserklosters Salem erwähnt. Der Kern war ein Wohnturm, der sich heute noch an der Baufuge in der Südseite ablesen lässt.
Charakteristisch für einen Profanbau der Stauferzeit sind die im Erdgeschoss erhaltenen kleinen Fenster. Der vieleckige Grundriss des Haupthauses ist typisch für die damalige Burgenarchitektur Schwabens. Bis ins 18 Jahrhundert war das Gebäude um ein Stockwerk höher und musste damit noch eindrucksvoller gewirkt haben.
Möglicherweise handelt es sich um eine “Pfalz” der schwäbischen Herzöge. Pfalzen dienten den Herrschern des Mittelalters als sichere und repräsentative Absteigequartiere. Alle Merkmale sprechen für eine “Stadtburg”.
Hinter dem Erker befand sich das sogenannte Kaiserzimmer, das hier in den Jahren 1548, 1550 und 1552 Kaiser Karl V. und sein Sohn Philipp II. wohnten. Nachweislich übrigens die einzigen Kaiser, die in diesem Bau Hof hielten.
im 16. Jahrhundert wurden einige Umbauten vorgenommen. So zum Beispiel das Fachwerk im Westflügel und die 1515 geweihte Kapelle mit spätgotischen Maßwerkfenstern. 1682 wurde der Hof an Württemberg verkauft.
Der trutzige Bau sollte noch mehrfach umgenutzt werden. So diente er von 1803 bis 1965 als Gefängnis der Stadt. 1979 wurde das Gebäude zum katholischen Gemeindehaus umgebaut und dabei leider vollständig entkernt.
Im Bau auf dem besonderen, trapezförmigem Grundriss befindet sich seit 1999 das Schreiber-Museum.
Station 8: Die Alte Kelter
Die Alte Kelter Kusterer befindet sich in der Unteren Beutau 16.
Von den zahlreichen privaten Keltern, die es in der Stadt gab, ist sie die einzige, die erhalten geblieben ist. Eine Kelter als Gebäude ist die verkürzte Form für das Kelterhaus, also das Gebäude, in dem die Kelter installiert ist. Die Kelter selbst ist eine Presse zur Gewinnung von Frucht- und Obstsäften, auch als Vorstufen von Wein und vergorenem Most. In der Beutau sind Keltern seit 1347 belegt.
Im Kern geht der gezeigte Bau vermutlich auf das 15. Jahrhundert zurück. 1580/81 erfolgte ein größerer Umbau des Dachstuhls, dessen Konstruktion bemerkenswert ist. Die Lasten des Dachbodens, der als Speicher diente, werden mit Hängewerken auf die Seitenwände umgeleitet. Die Hängepfosten wurden dabei außerhalb der Mittelachse angeordnet, um einen leichteren Durchgang zum Speicherboden zu erhalten. Die Kelterhalle bleibt dadurch stützenfrei und bietet mehr Raum.
Unter einem Dach waren übrigens Keller, Stall, Kelterhalle und der Speicher zusammengefasst.
Station 9: Ab in die Weinberge
Der Weinbau an den mehr oder weniger steilen Hängen prägt das Landschaftsbild rund um Esslingen. Die Steillagen werden durch die vor Jahrhunderten errichteten Trockenmauern gestützt. Sie zu pflegen und zu erhalten ist für die Weinbauern eine große Herausforderung. Viele der alten Trockenmauern müssen mühsam von Hand wieder aufgebaut werden.
Da in Esslingen gerade die Weinberge in den buntesten Farben erstrahlen, wollte ich euch diese Bilder aber nicht vorenthalten. Damit lässt sich die Thematik der letzten Beiträge auch super abschließen: vom Esslinger Beutauviertel, über die Wengerterhäuser bis in die Weinberge - ein Ausflug lohnt sich!