Der Pragfriedhof in Stuttgart

Die veränderte Bedeutung von Friedhöfen

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Friedhöfe, das sind Orte der Trauer und der Stille. Häufig assoziieren wir solche Orte auch mit dem Tod, der Vergänglichkeit oder ganz persönlich mit dem Abschied von einem geliebten Menschen.

Architektonisch gesehen sind Friedhöfe aber viel mehr als das. Etymologisch leitet sich das Wort Friedhof ursprünglich vom althochdeutschen „frithof“ ab, der Bezeichnung für den eingefriedeten Bereich um eine Kirche. Später wurden solche Orte auch wortwörtlich als „Hof des Friedens“ verstanden. Damit einher ging auch die Auslagerung von Friedhöfen aus der Stadt an die Stadtränder. So auch beim Pragfriedhof in Stuttgart.

Der Pragfriedhof und seine Geschichte

Am 14. Januar 1873 wurde er feierlich eingeweiht, lag zu diesem Zeitpunkt aber noch abgelegen von den Wohnhäusern und dem Stadtzentrum. Der Pragfriedhof gilt als eine der wichtigsten Grünflächen im Stadtbereich Stuttgart. Auch dahingehend veränderte sich im Laufe der Zeit die Bedeutung von Friedhöfen. Heute sind sie zumeist öffentlich zugänglich und damit ein Ort, der es ermöglicht, einen ruhigen und stillen Moment zu finden. Gleichzeitig sind Friedhöfe durch ihre vielfältige Bepflanzungen vor allem mit Bäumen auch für das gesamte Ökosystem wichtig. Im Gegensatz zu weitläufigen Parkanlagen mit reinen Rasenflächen, kühlen die vielfältig bepflanzten Flächen auf Friedhöfen nachts nicht so sehr herunter und helfen damit, ein stabiles Klima in der Umgebung zu erhalten.

Ähnlich wie der Père Lachaise in Paris oder der Wiener Zentralfriedhof hat auch der Stuttgarter Pragfriedhof eine über 150 Jahre lange Geschichte. Berühmte deutsche Persönlichkeiten sind hier beerdigt, monumentale Grabstätten verweisen ebenfalls auf wichtige Persönlichkeiten des Südwestens Deutschlands.

Mit 21 Hektar Fläche gilt er als drittgrößter Friedhof Stuttgarts, bezogen auf die Anzahl der Grabstätten: 29.000 ist er jedoch der Größte. 1873 wurde der Pragfriedhof eröffnet und weist verschiedene Besonderheiten auf. Zentrales Element sind die zwei Achsen in Kreuzform. Auf der Hauptachse liegen die auf den Bildern gezeigte russisch-orthodoxen Heiliger-Alexander-Nevskij-Kirche und das Krematorium mit Kolumbarium, in welchem die Möglichkeit der Urnenbeisetzung besteht. Zudem befindet sich im östlichen Teil des Friedhofs ein israelitischer Teil, der sich über einen langen schmalen Streifen erstreckt.

Die russisch-orthodoxe Kapelle

Die russisch-orthodoxe St. Alexander-Newskij-Kirche war ursprünglich eine Friedhofskapelle, heute dient sie als Pfarrkirche. Alexander-Newski-Kathedralen und -Kirchen sind Kirchen, die nach Alexander Jaroslawitsch Newski, einem Fürsten der Republik Nowgorod, benannt sind. Er war ein Heerführer, der später heiliggesprochen wurde.

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Die Kapelle wurde im Stil der Neorenaissance errichtet, enthält aber auch Elemente der Neogotik. Geometrische Grundformen, wie Dreieck und Kreis lassen sich eindeutig im Aufriss erkennen, während zurückhaltendes Maßwerk die Fenster in Dreipässe und Fensterrosen einteilt. Eine Kuppel mit stark ausgeprägtem Tambour bekrönt das Dach.

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Das Krematorium

Das Krematorium auf dem Pragfriedhof in Stuttgart entstand als Gegenpol zur russisch-othodoxen Kapelle und liegt mit ihr auf der Hauptachse, die durch den gesamten Friedhof verläuft. Das Gebäude befindet sich auf einer leichten Anhöhe und erhebt sich damit ebenfalls über den gesamten Friedhof. Architektonisch wie durch seine Funktion weist es einige Besonderheiten auf.

Die äußerliche Gestaltung ist ein herausragendes Beispiel für den schwäbischen Jugendstil. Im Gegensatz zu vielen Gebäuden, die im selben Stil errichtet wurden, ist das Bauwerk symmetrisch angeordnet. Auffällig sind die vielen Verzierungen und Ornamente, die das Gebäude schmücken. Ein überdimensionierter weiblicher Maskaron ziert den Endstein direkt in der Mitte des Bauwerks. Im darüber liegenden Relief ist eine Trauergemeinde dargestellt. Besonders präsent sind die beiden Engelsstatuen, die eine Girlande halten und gleichzeitig das oberste Fenster gliedern. Generell evoziert das Gebäude die Erinnerung an einen Felsentempel.

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Mittig bekrönt eine 24 m hohe Kuppel das Krematorium, links und rechts davon schließen zwei Seitenflügel an. In ihnen ist das Kolumbarium, also die Urnenhalle des Friedhofs, untergebracht. Auch die Kuppel und die darunter liegende Feierhalle hatten eine besondere Funktion. Zwischen beiden Etagen war ein hydraulischer Aufzug vorgesehen, in welchem der Sarg des Verstorbenen nach der Trauerfeier im Boden versenkt werden konnte.

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Geplant und ausgeführt wurde der Bau von dem schweizer Architekten Wilhelm Scholter, der in Stuttgart zahlreiche Wohnhäuser plante. Mit der Beauftragung des Baus stand Scholter vor einem ganz besonderen Projekt, denn das Krematorium war und ist bis heute das einzige in Stuttgart. 1905 wurde es mit königlichem Segen erbaut und zwei Jahre später eingeweiht. In großen Teilen des pietistisch geprägten Württembergs wurden keine Feuerbestattungen vorgenommen, da das Christentum mit seiner Heilserwartung diese Praktik verdrängt hatte. Erst um 1900 wurden durch die hygienischen Bedingungen, den Möglichkeiten, die die Industrialisierung hervorbrachte und der rasant wachsenden Bevölkerung wieder Feuerbestattungen vermehrt durchgeführt.

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Von Gräbern und berühmten Persönlichkeiten

Viele bekannte Persönlichkeiten wurden über die Zeit hinweg auf dem Pragfriedhof beigesetzt. Eine kleine Auswahl an besonderen Grabsteinen und Grabmalen möchte ich euch hier noch gerne vorstellen.

Der Lyriker der Schwäbischen Schule Eduard Mörike wurde auf dem Pragfriedhof bestattet. Seit 1875 ruht der Dichters auf dem Pragfriedhof. Besonders schön ist das Bronzerelief, das ein Pflanzenornament aufweist. Der Stein erzählt die Geschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit verspielten Formen und Pflanzenornamentik.

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Das Familiengrab der Familie Müller Lutz ist außergewöhnlich groß und besonders gestaltet. Auffällig ist die auf dem Grabstein sitzende Trauernde, die von Daniel Stocker 1919 geschaffen wurde. Die Figur ist auf das Wesentliche konzentriert, sodass ihre Körpersprache deutlich zur Geltung kommt. Hier lassen sich die Einflüsse des Jugendstils deutlich erkennen. Die Konzentration auf die Figur, in diesem Fall männlich, ist neben Pflanzen und vielfältig eingesetzten geschwungenen Ornamenten ein wichtiges Merkmal des Jugendstils.

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Das Grab der Familie Ludwig Blankenhorn zeigt ebenfalls eine figürliche Darstellung. Ganz oben ist die Portraitbüste des Baumeisters Ludwig B. angebracht. Er und sein Sohn planten ganze Häuserzeilen in Stuttgart und Umgebung. Vermutlich aus diesem Grund befindet sich unterhalb sitzend eine Frau mit einem Jungen auf dem Schoß, der auf einen Bauplan zeigt.

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Diese drei Beispiele reichen bei weitem nicht aus, die Gräber mit ihren besonders hübschen, monumentalen oder reich verzierten Grabsteinen abzubilden. Wer viel Zeit mitbringt, kann auf dem Pragfriedhof einen Einblick in die Geschichte der Region Stuttgarts erhalten und wird unweigerlich mit der Geschichte vieler Familien und bekannter Persönlichkeiten konfrontiert.

....und sogar Kleinarchitektur wurde errichtet!

Zwischen den Gräbern befindet sich mehrere sogenannte Mausoleen. Ich habe für diesen Beitrag eine stellvertretende Kleinarchitekur rausgesucht, um die Bedeutung von Mausoleen zu erklären und um eine ganz spezielle Familiengruft vorzustellen.

Es handelt sich dabei um eine doppelgeschossige Kleinarchitektur, bestehend aus einem Andachtsraum und einer darunter liegenden Gruft. In diesem Mausoleum fand der Verlagsbuchhändler Eduard von Hallberger seine letzte Ruhestätte. Das kleine Bauwerk erinnert durch seine Form und Ornamente an griechische Tempelanlagen. Das Relief auf der linken Seite zeigt die griechischen Buchstaben alpha und omega, die als Sinnbilder für den Anfang und das Ende des Lebens stehen. Weitere Ornamente schmücken das kleine Bauwerk. Akanthusblätter befinden sich in den Reliefs rechts und links außen und verweisen damit auf die Antike. Ebenso verhält es sich mit dem Fries in Mäanderform und den kleinen Kränzen.

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Funktional bildet dieses neuzeitliche Mausoleen eine Mischform aus einem Gebäude und einem Denkmal. Damit erfüllt es innerhalb der Sepulkralkultur die Aspekte des Totengedenken und den Appell an die Nachwelt. Gleichzeitig dient es durch seine Größe auch repräsentativen Zwecken.

Eduard Hallenberger war der Sohn des Buchhändlers und Verlegers. 1848 gründete er in Stuttgart eine eigene Verlagsbuchhandlung mit einem Schwerpunkt in der Jugend- und Volksliteratur. Ergänzend gründete Hallberger in Stuttgart eine der größten Holzstechereien in Deutschland. 1869 wurde er zum Geheimen Kommerzienrat ernannt und in den persönlichen württembergischen Adelsstand erhoben. Im Alter von 58 Jahren starb er am 29. August 1880 auf seinem Landsitz in Tutzing. Die repräsentative Wirkweise des Mausoleums wurde also nicht ohne Grund gewählt und erinnert bis heute an die Errungenschaften des Verlagsbuchhändlers.

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Ruhe und Frieden

Ich war an einem kalten Januartag auf dem Pragfriedhof und habe mir viel Zeit gelassen, diesen Ort der Stille zu erkunden. Aus Respekt vor den Verstorbenen ist so ein Ausflug eine Reise ohne Worte. Wenn ihr nach meinem Beitrag den Friedhof mit seinen Besonderheiten begehen möchtet, vergesst bitte nicht, dass es ein Ort der Ruhe und des Friedens ist. Daher bitte ich euch, diesem Ort ebenfalls mit Respekt zu begegnen.