Das Münster St. Paul
Von Fugenzeichnungen und dem Holzturm
Dieses wunderbare katholische Münster mit dem Namen St. Paul stammt aus dem 13. Jahrhundert. Es war die Kirche des ehemaligen Dominikanerklosters. Besonders daran? Die Kirche gilt als älteste erhaltene Bettelordenskirche Deutschlands.
1233 wurde der Grundstein gelegt, der eigentliche Bau begann aber erst 1255. Im April 1268 weihte der Dominikanertheologe Albertus Magnus die Kirche. Ursprünglich war die Nordseite der schlicht gehaltenen Kirche als Schaufassade angelegt worden, an der sich auch das Hauptportal befand. Es lag damit an einer wichtigen Straße, die zum Mettinger Tor führte. Durch die Umgestaltung der Umgebung im 20. Jahrhundert veränderte sich aber auch die Bedeutung der Kirche. Heute befindet sich der Haupteingang auf der Westseite, die einst nur zehn Meter von der Stadtmauer entfernt war.
Die Bauvorschriften der Dominikaner und Franziskaner beschränkten sich auf wenige Forderungen und Verbote. Sie verlangten Schlichtheit und maßvolle Größe der Gebäude, den weitgehenden Verzicht auf plastische oder malerische Ausstattung, den Verzicht auf Gewölbe in der Kirche mit Ausnahme des Chorraums sowie Turmlosigkeit und Nutzung eines Dachreiters als Glockenstuhl. Daran erkennt man übrigens häufig eine Bettelsordenskirche: Es befindet sich ein kleines Holztürmchen für den Glockenstuhl auf dem Dach.
So auch hier. Statt eines Turmes trägt das Münster St. Paul nur einen Dachreiter. Chor und Langhaus sind nicht voneinander abgesetzt und es gibt kein Querhaus.
Eine weitere kleine Besonderheit könnt ihr von außen feststellen. Weiße Fugenzeichnungen unterteilen die Wand der Fassade. Mit einer 1664 erfolgten Überarbeitung der Außenfassung der Kirche wurde diese Fugenzeichnung zwischen den Sandsteinquadern angelegt.
Fugenzeichnungen sind gemalte Quader bei Wandflächen wie bei Baugliedern. Solche „Fugenmalereien” sind im deutschsprachigen Sprachgebiet seit dem 11. Jahrhundert nachgewiesen. Im Mittelalter wurden die Quader mittels Anstrich mit gemaltem Liniennetz auf den Sandstein aufgemalt. Diese Fugen hatten oft nichts mit den realen, von der Farbe der Mauersteine ebenfalls oft abgesetzten Fugen der Mauerung zu tun. Erst seit dem 15. Jahrhundert wurde bei der Fugenmalerei der Licht-Schatten-Effekt berücksichtigt.
Eine kurze Geschichte
Das Münster St. Paul wurde als dreischiffige Säulenbasilika konzipiert. Damit handelt es sich um die erste gewölbte Dominikanerkirche in Deutschland. Doch bereits 1532 gaben die Dominikaner die Kirche auf. Bis 1802 wurde sie dann für evangelische Gottesdienste genutzt, danach diente sie als Futtermagazin, Lagerraum und Kelter. Von 1827 bis 1832 wurden in dem Gebäude die Esslinger Liederfeste unter Karl Pfaff abgehalten.
Im Jahr 1861 kaufte die katholische Kirchengemeinde in Esslingen das Münster für 15 000 Gulden. In der Zeit bis zur neuerlichen Weihe 1864 wurde auch das Pfarrhaus in der Augustinerstraße 5 errichtet. Man erkennt auch am Weihwasserbecken direkt neben dem Eingang, dass es sich um eine katholische Kirche handelt. Weihwasserbecken sind stets in der Nähe der Türen angebracht und die Benutzung des Wassers ist eine Erinnerung an die Taufe.
Ein leerer Raum?
Wie bei Bettelordenskirchen üblich, wurde der Innen- und Außenraum mit wenig Dekoration versehen. So ist dies auch der Fall in St. Paul - und doch gibt es bei genauerer Betrachtung einiges zu sehen.
In den ersten Jahrhunderten diente die Kirche auch als Begräbnisstätte. Das älteste erhaltene Ausstattungsstück ist die Grabplatte des Augsburger Weihbischofs Johannes Haiterbach, der 1447 in Esslingen starb. Die Platte ist aus rotem Marmor gearbeitet. Sie befindet sich an der südlichen Wand.
An der Ostwand des südlichen Seitenschiffes angebracht steht eine Paulus Statue. Die gotische Holzfigur aus dem 15 Jahrhundert wird von den vier Evangelisten mit ihren Attributen fankiert. Matthäus mit dem Engel links außen, dann folgen Markus mit dem Löwen, Lukas mit dem Ochsen und Johannes mit dem Adler.
Besonders auffällig sind die roten Kreuze an der Wand. Es handelt sich dabei um Weihekreuze. Diese finden sich in katholischen Kirchen mindestens an zwei Orten, und dort dann mehrfach. An diesen Stellen wurde die Kirche und auch der Altar bei der Weihe mit Chrisam, einem Öl, gesalbt. Die Kreuze wurden an den Innenwänden des Langhauses in St. Paul sehr präsent an 12 Stellen angebracht. Wegen dieser Anzahl werden sie auch als „Apostelkreuze“ bezeichnet.
Interessant sind auch die Schlusssteine. Sie befinden sich in jedem Gewölbe im Scheitel der Kreuzbögen. Sie “halten” das Gewölbe zusammen. Die Stifterfamilien, die Umbaumaßnahme im 15. Jahrhundert bezahlten, bekamen jeweils aufwändig gestaltete Schlusssteine. Allerdings wurden auch im Westteil religiöse Motive in den Schlussteinen dargestellt. Der erste geschmückte Schlussstein ist das sogenannte Heilig Geist Loch, das in Kirchen, die keinen frei stehenden Turm hatten, notwendig war, um zum Beispiel Glocken in den Dachreiter bringen zu können.
Die Kirche wurde während des Bildersturms im 16. Jahrhundert ihres übrigen Schmucks größtenteils beraubt, sodass der Raum heute ansonsten aber sehr leer ist.
Im Inneren ist auffällig, dass das Gewölbe ohne Unterbrechung von ganz hinten bis ganz nach vorne in den Chor durchläuft. Es gibt kein Querschiff und auch keinen Triumphbogen. Die Seitenschiffe sind deutlich höher als breit und der Altar steht höher als das Niveau des Kirchenschiffs. Zudem existiert kein Vorraum.
Die Obergaden des Hauptschiffs lassen viel Licht ins Innere. Ich persönlich bin jedesmal wieder beeindruckt von dieser wunderbar warmen Lichtquelle.
Apropos Licht
Natürliche Lichtquellen sind für Kirchen - egal welcher Art - enorm wichtig. Umso spannender sind die unterschiedlichen Fenster im Münster St. Paul.
Betritt man die Kirche, so blickt man direkt in den kleinen Chor. Die Fenster im Chor stammen aus dem Jahr 1964 und wurden bei der Renovierung des Münsters eingebracht. Sie stellen Grundgedanken aus den Paulusbriefen dar. In jedem Fenster befinden sich ganz oben Darstellungen von Engeln mit den Leidenswerkzeugen Christi sowie in allen Kleinovals Darstellungen aus dem Alten Bund. Die großen Rundfenster weisen auf die Erfüllung des Alten Bundes hin oder auf Ereignisse im Neuen Testament. Von Links nach rechts sind der 2. Brief an die Korinther, der Brief an die Hebräer, der Brief an die Kolosser, der Brief an die Galater und der Brief an die Römer thematisiert.
Auf der Südseite der Kirche befindet sich das Tauffenster. In die Lanzett-Fenster sind zwei Scheiben von dem Glaskünstler Johannes Schreiter eingebettet.
Im nördlichen Seitenschiff werden in einem Glasbild die sieben Schmerzen Mariens dargestellt: Wie alle Glasfenster ist auch dieses von unten nach oben und von links nach rechts zu lesen.
An der südwestlichen Wand befindet sich ein Fenster zum Gedächtnis an die Opfer von Krieg und Gewalt.
Besonders schön anzusehen ist das Fenster in Form eines Dreipasses über dem Nordportal, dem ehemaligen Hauptportal der Klosterkirche. Das Fenster zeigt die Symbole der christlichen Tugenden: das Kreuz als Symbol des Glaubens, der Anker als Symbol der Hoffnung und das Herz als Symbol der Liebe.
Ein besonderes Kleinod - Der Klostergarten
Nördlich an das Münster schloss ein Bauteil an, in dem der Kapitelsaal und das Dormitorium untergebracht waren. Ob es sich um einen Bau des Ordens handelt oder um einen Vorgänger, ist nicht hinreichend untersucht. Die Rundbogenfenster und der Torbogen stammen aus der romanischen Bauphase. Eine Außentreppe verband den Kapitelsaal mit dem Dormitorium im Obergeschoss. Der Entlastungsbogen im Erdgeschoss, den man vermutlich aus statischen Gründen eingezogen hatte, ist der gleichen bauzeitlichen Phase zuzuweisen.
Die Rundbögen sind heute noch in der Wand des Ostflügels gut zu erkennen.
Für die spätere Gestaltung des Innenhofs spielte der Zuweg zum Kapitelsaal sicherlich eine entscheidende Rolle. In der Gotischen Bauphase entstand dann die Klosterkirche und der Klosterkomplex. In dieser Bauphase wurden Klosterkirche, Konventgebäude mit Kreuzgang und Klosterhof fertiggestellt und zu einer Einheit verbunden. Bereits in den Jahren 1261 und 1285 tagte dort das Provinzkapitel.
Im Jahr 1291 entstand der Brückenflügel. Der Klosterkomplex wurde nach Süden und Südosten um den sogenannten Brückenflügel und das Schwörhaus erweitert. Dazu bedurften die Mönche der Genehmigung der Stadt.
Ihr seht außerdem auf den Bildern einen kleinen Klostergarten. Er wurde in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv, dem Stadtplanungs- und Stadtmessungsamt sowie dem Grünflächenamt als Klostergarten charakterisiert. Gartengevierte mit Buchs bepflanzt, Bäume und gekieste Flächen werden heute als Schulgarten für den Anschauungsunterricht genutzt.